2. März 2020

Erfolgsfaktor Unsicherheit. Warum Veränderungsprozesse mit Kopf, Herz und Hand funktionieren

Transformations-Experten Daniel Auwermann und Olaf Keser-Wagner: Wie sich Unsicherheiten und Widerstände in Transformationsprozessen zum Erfolg machen lassen.

von Daniel Auwermann & Olaf Keser-Wagner

Um den viel zitierten Headlines „Nichts ist beständiger als der Wandel“ oder „Go agil“ zu begegnen, wurden vor allem in den letzten 10 Jahren unzählige Methoden zum Umgang mit wechselnden Anforderungen entwickelt. Und trotzdem – immer wieder misslingen Veränderungsprozesse oder sind deutlich langwieriger, als es ursprünglich gedacht war.

Und warum? Weil es um Menschen geht! Alte Gewohnheiten aufgeben und sich an veränderte Bedingungen anpassen zu müssen, erzeugt nun mal Widerstände und Unsicherheiten.

Nähern wir uns der Unsicherheit und den Widerständen wie dem Selbstverständlichsten der Welt und betrachten parallel die Phänomene, die damit einhergehen, ergeben sich erstaunliche Perspektiven für Führungskräfte und Beratungsunternehmen.

 

 

Das Phänomen der Unsicherheit

Wer unsicher ist, dem fehlt seine Sicherheit. Aber was genau löst die Unsicherheit aus? Und was Sicherheit?

Kurz gesagt: Sicherheit ergibt sich aus dem Empfinden, in der eigenen Wertewelt oder der eigenen Motivation entsprechend aufgehoben zu sein. Außerdem aus den Zahlen, Daten und Fakten, die unserer Wertewelt entsprechen. Und aus unseren Sinneswahrnehmungen – auch wenn diese unvollkommen erscheinen.

Bei Unsicherheit fehlt also etwas. Es fehlt etwas in Bezug auf Werte oder Motive, es fehlen Sinneswahrnehmungen oder Zahlen, Daten und Fakten.
Zugegeben, dabei handelt es sich um höchst individuelle Empfindungen und die Bandbreite der Motivationen ist nicht nur vielfältig, sondern häufig auch bipolar – was dem Einen Sicherheit und Motivation verspricht, verunsichert den Anderen.

Dennoch ist diese Erkenntnis für die Begleitung eines Transformationsprozesses unglaublich wertvoll: Wir kennen nun die Felder, in denen Unsicherheit entstehen kann.

 

Lernen mit Kopf, Herz und Hand.

Bekannt ist: auswendig Gelerntes gerät schnell in Vergessenheit und bleibt nicht nachhaltig abrufbar und anwendbar. Demzufolge schaffen Pädagogen Lernsituationen, in denen Kopf (Kognition, Logik), Herz (Empathie, Emotionalität) und Hand (Experiment, Handlung) nacheinander oder gleichzeitig angesprochen werden (Bildung für Nachhaltige Entwicklung, BNE).
Dieser Dreiklang ist sehr einfach nachvollziehbar und lässt sich ebenfalls als Kategorie für die Einordnung von Unsicherheit verwenden. Entsteht die Unsicherheit eher kognitiv, eher emotional oder eher in der konkreten Umsetzung?

 

Vom Widerstand zur Kraft.

In seiner Theory U beschreibt Otto Scharmer vier Ebenen der Aufmerksamkeit, welche durch drei Widerstände voneinander getrennt sind. Er nennt diese „Voice of Judgement“, „Voice of Cynicism“ und „Voice of Fear“.
Wir haben diese drei Widerstände etwas anders übersetzt. Wir nennen sie „Kraft der Rechtfertigung“, „Kraft des Zweifels“ und „Kraft der Angst“. Auch diese drei haben etwas mit den oben geschilderten Kategorien Kopf, Herz und Hand zu tun. Oder auch mit den Zahlen, Daten, Fakten, intrinsischen Motiven und Werten oder konkreten Sinneswahrnehmungen.

 

Kraft der Rechtfertigung

Rechtfertigung ist häufig negativ konnotiert: „Muss ich mich rechtfertigen für das, was passiert ist?“. Sie entspringt einer Verteidigungshaltung.

Es gibt aber auch eine andere Bedeutung: Vor Gericht wird „Recht gefertigt“. Dort wird der Versuch unternommen, richtig zu stellen, was vorher falsch war.

Rechtfertigung ist ein zutiefst kognitiver Vorgang. Es geht darum, die Vergangenheit nochmal neu zu betrachten, bewusst zu durchleuchten, zu reflektieren. Die gemachten Wahrnehmungen und die damit verbundenen, persönlichen Urteile in Einklang zu bringen. Gelingt uns dieser Ausgleich, werden Aussagen „stimmig“ und wir machen die Erfahrung, dass wir „richtig gedacht und wahrgenommen“ haben.
So wird aus dem Widerstand der Rechtfertigung als Verteidigung eine positive Kraft, die uns für die Zukunft beflügelt.

 

Kraft der Angst

Otto Scharmer beschreibt die „Voice of Fear“ als eine Angst davor, Neues an uns heran zu lassen und/oder Neues zu tun. Im Scharmerschen U-Prozess sind bereits Schritte durchlaufen, bei denen bewusst auf das Vorhandene hingesehen wurde und auch emotional hingespürt wurde. Dennoch bleibt diese dritte Schwelle, ehe sich Neues aussprechen lässt und in Handlungen übertragen werden kann.

Diese physische Angst empfinden wir vielleicht vor dem Bungee-Jump wenn der Körper voller Adrenalin ist. Die Wahrnehmung der Außenwelt geht dann ganz zurück. Für manch einen ist es ein Kick, sich dieser Angst auszusetzen – für den anderen eine unüberwindbare Hürde. Angst kommt von Enge. Häufig tritt sie auf, wenn es eng wird. Wenn der zeitliche Druck zu hoch oder die zur Verfügung gestellten Ressourcen nicht ausreichend sind. Wird jedoch das Tempo ins richtige Maß zu unseren Zielen gesetzt, kann die Kraft der Angst positiv wirken.

 

Kraft des Zweifels

Zwischen den beiden vorher geschilderten Kräften steht die Kraft des Zweifels. Zweifel äußert sich oft zunächst leise als Bauchgefühl und wird dann immer stärker. Er entsteht, wenn aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit etwas, das wir uns für die Zukunft wünschen, nicht umsetzbar erscheint. Gelingt es uns die Brücke zwischen Zukunft und Vergangenheit zu schlagen, dann entstehen weiterführende Fragestellungen, mit denen wir uns emotional verbunden fühlen.

Übrigens: Diese Kraft guter Fragen wird häufig unterschätzt, da wir in der Regel glauben, schnelle Antworten zu benötigen. Was aber nur auf Herausforderungen und Fragestellungen zutrifft, die unmittelbar mit den Produktionsprozessen zu tun haben. Häufig zeigt sich, dass bei der Analyse von Veränderungsbedürfnissen zunächst die konkreten Fragestellungen gefunden werden müssen, die wirklich zielführend auf die Veränderung einzahlen. Man weiß dann auch, dass diese Fragestellungen nicht einfach und schnell zu beantworten sind.

 

Kreative Wege aus der Unsicherheit

Wir haben also festgestellt, dass …

… Unsicherheit unterschiedlich motiviert sein kann.

… die Brücke aus der BNE „Kopf, Herz und Hand“ hilft uns, die drei Ebenen von Widerständen nachzuvollziehen.

… die Kraft der Rechtfertigung aus der Klärung von Wahrnehmungen und Meinungen aus der Vergangenheit entsteht und dem Kopf entspricht. Die Kraft der Angst und die der Wahl der richtigen Umsetzungsschritte entspricht der Hand und die Kraft des Zweifels aus der Definition der richtigen Fragestellungen entspricht dem Herzen.

Damit lassen sich Schritte ableiten, die in einen iterativen Prozess führen:

 

A.    Wo entsteht Widerstand?

In der Regel äußert der Mitarbeitende nicht, auf welcher Ebene sein Widerstand entsteht. Man kann sich jedoch damit helfen, indem man ihn eingehender befragt und beobachtet.

Fragen, die auf die kognitiv zu beschreibende Vergangenheit als auch auf die angestrebte Zukunft hin zielen lassen dem Mitarbeiter die Wahl einer Antwort. Er wird sie entsprechend formulieren.
Wir können dann als Begleiter entweder mehr zum Verständnis beitragen (Vergangenheit konkretisieren) oder auch bei der Ausgestaltung des nächsten, leistbaren Schrittes unterstützen (Zukunft gestalten).

 

B.    Lösungsweg finden. Gemeinsam.

Wichtig: Mitarbeitende definieren ihr Ziel selbst. Dieses muss förderlich für die Unternehmensziele sein und wird dann möglichst durch den Mitarbeitenden in konkrete Schritte zerlegt. Je stärker die Kraft der Angst, desto kleiner müssen diese Schritte definiert werden.

Liegt der Widerstand eher auf der Vergangenheitsseite, so kann die Bereitstellung von weiteren Informationen zur Lösung beitragen.

Kann sich der Mitarbeiter zwischen diesen beiden Polen nicht festlegen, so gilt es, die Kraft des Zweifels zu aktivieren, indem man gemeinsam versucht, die Frage zu definieren, die an einer Umsetzung hindert.

 

C.    Ermutigung für den ersten Schritt

Wichtig ist, eine konkrete Absprache mit einer damit verbundenen Ermutigung zu gestalten. Hier hilft es, nochmal ganz konkret nachzufragen, was wirklich zu tun ist. Welche Situationen könnten den jetzt gewählten ersten Schritt unterbinden? Wo könnte jemand anderes das Vorgenommene torpedieren? Wie könnte dann eine Reaktion aussehen?

Wichtig ist, die Fragen als gemeinsames Vorbereiten des Schrittes zu formulieren, den der Andere nach Beendigung des Gesprächs ja eigenständig gehen muss.
Da häufig erst in der Zeit nach dem Gespräch zwischen Begleiter und Mitarbeiter auffällt, was alles nicht bedacht wurde, kann es ermutigend wirken, wenn man auch in Aussicht stellt, dass bei einem Scheitern gemeinsam daraus gelernt werden kann, wie in Zukunft die Unterstützung des Begleiters aussehen kann.

 

D.    Reflexion

Egal ob der Umsetzungsschritt gelingt oder nicht: Eine Reflektion über das Verabredete und das Passierte ist unabdingbar. Sie dient einerseits dem gemeinsamen Lernen (Wie kann Veränderung konkret mit diesem Mitarbeiter gestaltet werden?), andererseits auch dem Erfassen von Eigeninitiative, Empowerment und Innovationsideen für die Zukunft. Gerade in einem verabredeten Reflexionsgespräch wird es zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass die Frage: „Und wie jetzt weiter?“ auftaucht.

Auch bei der Reflektion kann man sich obige Erkenntnis zunutze machen: Was war die Ausgangsfrage? Welche Wahrnehmungen und Meinungen haben dazu beigetragen? Welche Vision und Wege waren verabredet? Dann lässt sich weiter fragen: Wie hat sich die Frage durch die gemachten Lösungsschritte verändert? Welche neuen Fakten und Meinungen, Ziele und Umsetzungsmöglichkeiten sind aufgetreten? Was kannst Du als nächstes tun?

Nach diesem Gespräch wird es wieder einen nächsten Schritt geben. Immer mit dem iterativ daran gebundenem Reflexionsgespräch.

 

Fazit

Und was macht uns in dieser Haltungshypothese so sicher und wie skalieren wir diesen Erfolgsfaktor?
Beweisgrundlage sind eindeutig unsere eigenen Erlebnisse. Eine persönliche Transformation mit Kopf, Herz und Hand und all den damit einhergehenden Unsicherheiten und Widerständen selbst erlebt und gefühlt zu haben, katapultiert den Umgang mit Menschen in Unternehmen in ganz neue Sphären. Führungskräfte und Berater, die selbst schon mal Grenzsituationen durchlaufen haben, tun sich mit Widerständen wesentlich leichter. Der z.B. hautnah erlebte Überlebenskampf im Atlantik nach einer dramatischen Segelbootkenterung ermöglicht einem Berater die Erschließung eines Raumes, in dem echtes Verständnis für Gefühle und Emotionen existiert. Das Erarbeiten von Verbundenheit steigert die Beziehungsqualität im Businesskontext, denn Performance ist abhängig von Emotionen.

Niemand muss Grenzsituationen erleben. Aber aus einer eigenen tiefgreifende Transformation sind Menschen schneller und besser in der Lage, nachzuvollziehen, wo in Veränderungen Widerstände entstehen. Ob nun, weil sich der Sinn noch nicht erschlossen hat, man die Zusammenhänge und Mechanik noch nicht versteht oder weil noch der Mut fehlt, den Gestaltungsraum zu ergreifen. Kopf, Herz und Hand – die drei Ebenen der ganzheitlichen Transformation wollen angesprochen und eingebunden sein. Und zwar aktiv nicht reaktiv.

Dabei geht es nicht ums netter werden, sondern darum, über Kultur Wirtschaftlichkeit zu erzeugen. Indem wir die Unsicherheit ins Zentrum stellen und uns auf die Unterschiedlichkeit der Menschen aufgrund ihrer individuellen Erfahrungen einlassen, distanzieren wir uns vom OneSizeFits All-Modell. Und dann, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchen aus dem Meer der Unsicherheiten und Widerstände zusehends Schollen auf, die einer Transformation auf einmal wieder Boden unter den Füssen geben und sie damit überwindbar machen. Und auch noch Spaß bringen!

Wir revolutionieren im Unvorhersehbaren nicht durch den Versuch in eine Schublade zu stecken. Wir sind in der Lage schnell Entscheidungen zu treffen, wenn wir die Sorgen und Ängste – auch die eigenen – ernst nehmen und berücksichtigen. Aber wenn Entscheidungen kreativer Transformation getroffen sind, dann gilt es diese mit Disziplin umzusetzen.

Mit Unsicherheit umgehen heißt also: Vorurteilsfrei und ohne Tabus – ja, in Anarchie – neue Lösungen denken. Und bei einer Entscheidung diszipliniert umsetzen. Konsequent. Ebenso auch prüfen, ob es funktioniert. Dann von vorn.

Kurz: Alle an einen Tisch bringen, dann in Anarchie neu denken, mit Disziplin umsetzen.

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