12. November 2019

Letzte Ausfahrt Geschäftsführer?

Sina Wellschmiedt: Warum man Fach- und Führungskarrieren öfter trennen sollte.
Nächste Karrierestufe Chef? Nicht jeder fachkompetente Kollege ist automatisch auch eine geeignete Führungskraft. Trotzdem werden Karrieren und Aufstieg in unserer Branche noch zu oft genau daran geknüpft. Obwohl wir doch längst wissen, dass das nicht richtig sein kann. Wenn wir die Stärken unserer Mitarbeitenden wirklich stärken wollen, muss dieser Automatismus dringend aufgebrochen werden.

von Sina Wellschmiedt

Manager-Müdigkeit, keine Lust auf Verantwortung – erst kürzlich demonstrierten Zahlen der Boston Consulting Group: Führungspositionen sind unbeliebt. Und das unabhängig davon, ob die Befragten bereits in einer solchen Rolle sind oder noch hineinwachsen könnten.

Auch wenn die Begriffe Management und Führung hier wie anderswo zu oft gleichberechtigt genutzt werden – ein Manager hat nicht automatisch Führungsverantwortung und Führung ist eine Eigenschaft, die auch außerhalb von Managementpositionen ausgeübt werden kann – stellt sich doch die Frage: Warum ist das nur so?

Gefangen in alten Hierarchiemodellen

Die Zahlen von Boston Consulting wundern mich nicht. Das Unglück von Menschen, die „fälschlicherweise“ in Führungspositionen gelandet sind, quasi als einzige logische Konsequenz eines geradlinigen Weges, kenne ich gut. Und immer wieder steht dann die Frage im Raum, was man hätte anders machen können. Und die ehrliche, wie auch selbstkritische Antwort ist: Nicht viel. Leider.

Denn auch in unserer Branche ist die Trennung von Fach- und Führungskräften oft schwierig oder schlicht nicht vorhanden. Die persönliche Karriere und damit einhergehende Gehaltserhöhungen sind noch viel zu oft an die Übernahme von Führungsaufgaben gebunden. Nicht jeder brillante Kreative, Berater oder Stratege ist auch eine geborene Führungskraft. Die eierlegende Wollmilchsau, die in diesem Kontext immer wieder gerne gesucht wird, gibt es nicht. Oder zumindest fast nie. Führung ist eine Qualifikation und keine Gehalts- oder Hierarchiestufe! Wer führt, ist Enabler, Challenger, jemand der das Team voranbringt und über sich hinauswachsen lässt. Wer führt muss in der Lage sein, Perspektiven zu wechseln, Komplexitäten zu reduzieren und Potenziale zu erkennen.

Werde dein bestes Selbst!

In der Hirschen Group fangen wir an, uns dieses Problems bewusster zu werden und mehr darauf einzugehen. Wir wollen, dass die Menschen bei uns ihre Stärken ausspielen können und so werden, wer sie sein wollen: Ihr bestes Selbst. Denn nur so werden wir alle zusammen als Unternehmen erfolgreich sein.

Welcher Weg ein richtiger sein kann, finden wir gemeinsam heraus, unabhängig von Mustern und Schubladen. Wir können gut abstrahieren, ob jemand als Führungskraft erfolgreich ist oder ob wir die Stärken einer Person an anderer Stelle besser einsetzen könnten. Das erfordert den Mut, bestehende Ordnungen zu hinterfragen. Und Vertrauen. Für offene und ehrliche Gespräche mit den Betroffenen. Und darauf müssen dann auch Alternativen folgen.

Wenn ein Mitarbeitender sagt, dass er keine Führungskraft werden will, ist das ok. Menschen die woanders nur in die Geschäftsführung wechseln könnten, aber viel lieber ihre Zeit beim Kunden verbringen, können das bei uns tun. Und trotzdem sollen sie sich, inhaltlich wie monetär, entwickeln können.

Führung ist kein Karrieremove

Es kommt schonmal vor, dass bei uns ein jüngerer Mensch den Teamlead hat und erfahrene Spezialisten keine Führungsverantwortung tragen. Dabei schauen wir uns an, was das Team als Gesamtkonstrukt braucht und basteln daraus Rollen auf Augenhöhe. Entscheidungen sollten immer dort getroffen werden, wo die größte Kompetenz dafür liegt. Deshalb versuchen wir mehr und mehr, diese Entscheidungskompetenz an eine bestimmte Rolle zu übertragen.

Um sich so zu organisieren, müssen alle umdenken. Manchen fällt das leichter als anderen. Mir fällt es zum Beispiel oft noch schwer, meine Erwartungshaltung nicht auf andere zu projizieren. Entscheidungskompetenz abzugeben und dann zu ertragen, dass die neuen Verantwortlichen Entscheidungen anders treffen, als man es selbst getan hätte. Das erfordert einen massiven Vertrauensvorschuss und Flexibilität im Kopf. Denn am Ende bin ich in meiner Rolle als People & Organization-Head der Gruppe trotzdem weiterhin verantwortlich für unser Gesamtergebnis.

Es gibt da keinen goldenen Weg. Die tradierten Muster von Hierarchien und Seniorität müssen langsam überwunden werden. Jeder muss offen sein, das eigene Verständnis zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Nur so können sich alle mit ihren Stärken optimal einbringen. Und sind dann auch zufrieden in ihren Jobs.

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